Joachim Völkner
Von Königen und Künstlern oder …
Kurzer Blick über die kalte Schulter, 1981

Über die Schulter in die Vergangenheit geschaut, kommt dem Spaziergänger so manche Frage in den Sinn. Was galt in alten Zeiten den Königen als Kunst? Wie wünschten die Könige sich ihre Künstler? Welche Musik, welche Bücher, welche Bilder waren „bei Hofe“ willkommen? Nun, kein Ratespiel, wir wissen das. Als Kunst galt an diesen verstockten Orten alles, was die Stockflecke übertünchte, schönfärbte, alles was rosiggülden glitzerte, alles gefällige Brave, was nicht widersprach, kurz: alle Nichtkunst galt den Königen als höchste Kunst, als Ideal; und als vollkommenster Künstler wurde gefeiert, wer das Erwünschte entsprechend fabrizierte.

Ach, wie leicht ließen sich im Grunde doch die gekrönten Häupter übertölpeln, ein-zwei schmeichelnde Oden auf die Krone oder die jeweilige Religion, nach Belieben auch ein Komödchen fürs Volk, und der künstelnde Schmeichler war ein gemachter Mann, ihm gings fortan bestens. Der Hofkünstler, oft leider nicht dumm, eher gewissenlos, sein Lebenslauf ein Kriechgang, sein Standpunkt die Kniescheibe, und sein Organ ein Kussmündchen, so wars recht, so sollts bleiben. Was kümmerte da die Wirklichkeit, was ist das. Doch wehe der Vorwurf! Da dehnen sie ihre ordensbehängte Brust, werfen sich ins seidene Zeug: sie seien selbstredend der Kritischsten welche. Keiner von ihnen seis, der dies nicht ist. Demnach wissen sie um ihre Schwäche. Aber, nun mal gabs noch die Echten, die Wahrhaftigen, wie ergings denen? Sie, die das Entscheidende und Kunstnotwendige innehatten, nämlich soziales Gewissen, ethischen Instinkt, die hattens in jedem Fall nicht so leicht. Denn, wessen Kunst anderes aussagt, als die Könige es haben wollen, der stört natürlich das Gefüge, der nützt nicht, der gefährdet die Ruhe, die Ordnung, ergo: die Macht, der muß entweder auf der Stelle verstummen oder verschwinden. Für jene gab es Nektar, für diese den Schierling. Oder das Kreuz, das Fallbeil, die Kugel, das Zuchthaus, für die Ungehorsamen, die Ketzer, die unbotmäßigen Andersdenker war nichts im Staate schlecht genug.

Später dann, in Zeiten der Aufklärung, waren die kritischen Köpfe der Künstler sicherer, zumindest äußerlich. Wahnsinnig durften sie getrost werden, ebenfalls war es ihnen tunlichst gestattet, sich in die Stirnen zu schießen. Von nun an war aller kritischer Geist der gänzlich organisierten Zensur ausgesetzt, damit: dem Haß und der Willkür einer dümmlich devoten Bürokratenkaste, die in ihrem untertänigen Diensteifer nichts mehr und nichts weniger zu tun hatte, als jede Kritik, jede Infragestellung der herrschenden Ordnung von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Alle Weltanschauung, die nicht der Denkschablone der Machthabenden entsprach, mußte ausgeschaltet werden, wie ein störendes Licht. Alle Kunst, die den Interessen „des Hofes“ nicht nützte, sondern widersprach, blieb in diesem allgewaltigen feinmaschigen Netzwerk hängen, hindurch ging nur, was der Krone in ihren falschen Glanz paßte; ein perfekt perfider Mechanismus zur Verhütung und Vernichtung jedes kritischen Einspruchs. Wer sich da doch erdreistete, im Netz eine Lücke, ein Sprachrohr, einen mutigen Verleger zu finden, dem ging es hart ans Leder, und er mußte machen, daß er außer Landes kam, in die Emigration. Das Exil: in der Fremde, ausgebürgert, isoliert, in einer fernen Matratzengruft elend zugrunde gehend, scvsieht ein König seinen Kritiker gern. Was wußten denn die Staatsbeamten, die Metternichs, die Hardenbergs, von Kunst? Nichts! Geschweige der Moral. Für die waren die Echten, die Heines, die Kleists, die Büchners nichts als Störenfriede, Querulanten, Wichtigtuer, übersensible Intellektuelle, die immer nur im Dreck wühlen; die herrschende Doktrin mußte sie zu Staatsfeinden erklären, damit die Gesetze greifen konnten. Aber auch hier: wehe der Vorwurf der Knebelung. „Es wäre genug gewesen, die Zensur zu schärfen oder Ihr Blatt ganz zu verbieten …“ So, 1811, der Staatskanzler Hardenberg an unseren Kleist, und so: „unparteiische Diskussionen“, „zweckmäßiges Blatt“, „gesetzliche Bedingungen“, so war es gedacht, Kunst als Reproduktion hofstaatlicher Interessen, als gefällige Illustration der Sonnenseite, wer sich daran hielt, der fuhr gut, wer dies nicht tat, wer nach wie vor die Rückseiten der Ordnung im Auge hatte, der fuhr gar nicht, der wurde gestoppt. Künstler mit dieser Intention waren den Machthabenden ein Greuel, deren Motivation ein Rätsel: es war nicht zu begreifen, warum „diese Typen“ ständig auf Schattenseiten wiesen, v/o doch des Hofstaates Sonne so herrlich schien. Die geeignetste Erklärung dafür konnte nur sein: geistesgestört, nicht normal, also: krank. Normal ist, wer sich anpaßt, die Regeln beachtet, das heißt: alle Dunkelheit übersehen und das gezüchtete Glimmern „des Hofes“ als Sonne der Sonnen zu feiern, denn — so will es die Krone — das Licht sei typisch für den Staat, nicht das Dunkel — also nicht vorhanden. Wer dennoch eine Grauheit hervorzerrte, der konnte nur mit einem schlimmen Gegner, dem Teufel vielleicht im Bunde sein, ethisches Empfinden, Moral als Anstoß zu solchem Denken und Tun blieb allen staatlichen Schreibtischen ein Fremdwort.

Daß in Wahrheit nicht der Künstler, sondern die Gesellschaft krank war, todkrank, mußte den Sachwaltern dieser Macht, den Hütern solcher Ordnung verborgen bleiben, sie selbst waren ja der pathologische Keim, ihre skrupellose Machtgier das Fieber. Zudem: was wußten diese Verwalter in ihren Büros noch von Wahrheit, die Realität war ihnen längst entfremdet, ihre Sprache war die höfische Phase, ihr einziges Blickfeld das blanke Parkett, der rote Teppich, der Weg ihrer Karriere. Ein klassisches Vorkommnis: die Mängel der Sozietät dem darauf weisenden Künstler anzulasten; nicht das Erdbeben sei schuld, sondern der Seismograph, der Aufzeichner, sein Standpunkt sei unfest, eine fast diabolische Umkehrung von Ursache und Wirkung. Dieses tragische Unverständnis kritischer Kunst gegenüber traf den Künstler auch von zweiter Seite: auch das Volk, sofern es unwissend war, und das war es meist, diskreditierte ihn als störenden Außenseiter und elegischen Moralapostel; als Kunst galt diesem Volk einzig die Zote und das Schlagersingen, so mußte jede mahnende Wertung in Form eines Kunstwerkes als lebensfremd und höchst überflüssig angesehen werden, begriffen wurde es schon gar nicht. Das machte die Könige in dieser Sache stark, sie wußten diese Künstler isoliert und ausgeliefert, also zerstörbar; also zerstörten sie, was auch immer nach Widerspruch roch. Doch es waren nur Tagessiege, die Folgezeit und alle Zukunft gehörte den Opfern, letztlich und auf alle Zeit waren die Despoten die Verlierer; im Nachhinein mußten sie oder die Nachfolger ihre Irrtümer eingestehen, leuchtende Denkmäler wurden vom Sockel geholt, umgeschmolzen, wenn Bronze erzählen könnte… Denn, zu guter Letzt ist wahrer Kunst kein höfisches Unkraut, erst recht kein König gewachsen. Die Klugen unter den Herrschenden wußten das, sahen daher die echte Kunst als gefährlichsten Feind, dessen Feld aufmerksam zu beobachten sei; andere, die Klügeren, versuchten die Kunst in die höfischen Spielregeln zu integrieren, doch domestiziert werden konnte stets nur das künstelnde Mittelmaß, das Stärkere war nicht zu fassen. So brachen sie, diese gekrönten Häupter, sich am Ende stets das Genick: sie begriffen nicht den kausalen Charakter kritisch akzentuierter Kunst, unterdrückten sie, anstatt sie als Hilfe anzunehmen. Ihr Fehler: die wollten also die benannten Widersprüche in ihrem Staat nicht zur Kenntnis nehmen; und derlei hochgestapelte Kartenhäuser bedurften zu ihrem Einsturz oft nur eines Hüsteins der Putzfrau. Als dann die Putzfrau auf dem Thron saß, kam am dritten Tag einer, der deutete auf ein Staubkorn. Da wurde die Königin sehr böse, hob ihren Finger, und wenn sie nicht gestorben ist …

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