Joachim Völkner
Über Vor- und ihre Nachbilder

Eine beliebte Frage an den Künstler ist die nach den Vorbildern, – nach der Antwort läßt sich so klug Aha sagen. Doch der Ton macht die Musik, welches „a“ betont wird, dahinter stecken Welten. Alle Geister scheiden sich, wenn es um Kunst geht, dabei gibt es doch nur die eine, die wirkliche. Aber was ist das? Zu zeigen wäre es, doch zu beschreiben ist das wohl kaum; den Großen der Kunstwissenschaft ist das annähernd gelungen, den Kleinen dieses Faches bleibt hier nur blindes Tasten. Ich sehe bei einem erheblichen Teil unserer Kunstkritik einen gefährlichen Fehlverstand gegenüber dem Imperativ der künstlerischen Folge der Formen und deren Kausalität. Ohne dieses Wissen jedoch ist alle Kritik nur eklektisches Kritteln, ein rechthaberisches Gebräu von Schubfachvokabeln. Das Ergebnis derartigen Mittelmaßes ist dann dieses sattsam bekannte ahnungslose äußerliche Benennen von Werken, und, aus dieser Beschränktheit heraus, ein häufiges Degradieren von Bildern zu nur-Nach-Bildern, eifrig zählt der Schlauberger hier die Vor-Bilder auf. Als ginge es um einen Wettlauf, wo der eine der Erste, der andere nur der Zweite, also Nachläufer ist. Hier, für eine gültige Bewertung dieser Fälle, das rechte kritische Maß zu finden, bedarf es eben eines tiefen Instinkts gegenüber dem kausalen Zusammenhang von Ursache und Wirkung im Spannungsfeld Künstler-Gesellschaft -Zeit. Die Dimension dieser Folgerungen ist mit anstudiertem kunsthistorischem Fachwissen nicht zu ermessen, Instinkt eben, ein intensives Gespür ähnlich dem der Menschenkenntnis, wäre unbedingte Voraussetzung, daß eine Kunstkritik wirklicher Kunst überhaupt gewachsen ist, daß sie der Kunst als gemäßer Partner überhaupt entgegentreten kann. Denn unterhalb dieser Ebene bleibt jede kritische Müh‘ eine verlorene, ein hilfloses Gezänk eines Zwerges. Nicht wenige Kunstkritikerhalten unsere Kunstszene für eine zirzensische Schau wo zu jeder Vor bzw. Ausstellung möglichst „ein Neuestes und Schärfstes“ zu sehen sein muß, also ein 9-12facher Saltooder ein Seiltanz ohne Seil, jedenfalls kitzelnde Sensation. Ist nichts dieser Art zu entdecken, so heißt es „Nichts Neues! Stagnation! Die Bilder immer noch nur 4eckig“. Diese gelangweilten Damen und Herren haben sicherden falschen Beruf, als Reporter gehören sie an die Pferderennbahn, in der Kunst sind sie und deren Gleichgesinnte fehl am Platz. Da fehlt ihnen alles Nötige, zum Beispiel intaktes Menschsein. Ohne diese innere Souveränität des Herzens ist aller Ausgangspunkt ungesund und kipplig, dienstuntauglich. Wo der Maßstab der menschlichen Werte zu kurz ist, kann die menschliche Tiefe eines großen Kunstwerkes nicht ermessen werden. Dort bleibt nur hilflose Vermutung, und aus dieser beruflichen Notdurft heraus endet Kunstkritik, wo sie eigentlich beginnen müsste, an der Oberfläche der Bilder. So werden dann allen Ernstes die Farben der Farben beschrieben, die Malweisen oder die Formen der Formen, ohne daß auch nur eines von innen her verstanden wurde. Als zwingendstes Kriterium einer Bewertung müssen ja hier, in dieser Notlage, Dinge ins Spiel, die dort nichts zu suchen haben, die aber wohl das Ein und Alles sind: der eigene Geschmack, die persönliche Vorliebe und Abneigung, jedenfalls unbrauchbare Subjektivismen, die aus Kunstkritik einen Modereport machen; einziges Objektivum ist daneben jenes sonderbare sportliche Punktsystem, das in seiner stumpfen Eindimensionalität die Plätze verteilt und Ränge festlegt. Dabei ist es doch in der Kunst ein Zugleich, wenn die Zeiten und ihre Zeichen dieselben oder ähnliche sind. Entstehende Ähnlichkeiten der Form sind dann weder Zufall noch Mangel, sie sind eher logisch, denn es gab und gibt zu allen Zeiten ein Bündnis verwandter Seelen, vor allem innerhalb einer nationalen Mentalität, und dieses Verwandtsein im Empfinden drückt sich aus in einer gemeinsamen Sprache. Neben dieser gibt es nun aber tatsächlich die Möchtegern-Vetternschaft, im Windschatten der Ahnen tüfteln hier die Epigonen. Wo aber ist der Unterschied? Es haben einige der Großen, die Größten sicher, einen derartigen Sog hinter sich, daß in ihrem Rücken alles mitgerissen wird, was sich dort hingezogen fühlte. Also fliegt erst einmal alles mit, gezwungenermaßen, dann aber entscheidet sich doch, wer sich lösen kann, wer durch eigene Kraft eigene Bahnen findet. Nach und nach werden die Brauchbaren den Bann verlassen und selbst Kreise ziehen, die meisten werden diese Kraft nicht haben, sie werden hinterherhinken müssen, bis sie auch das nicht mehr können oder es ihnen plötzlich langweilig wird, abrupt treten sie dann beiseite, stehen aber so unsicher auf eigenen Beinen, daß sie umgehend in einen anderen, neuen Strudel geraten, und so weiter. Ihr künstlerischer Lebensweg wäre ein Zickzack durch die Ismen; ihr Mangel an formalem Eigensinn zwingt sie, um arbeiten zu können, zu Obernahmen, zu Nachahmungen fremder Form und cleveren Montagen bewährter Mittel, die sie mundraubartig enteignen. Was gesunder Wille zur Gestaltung sein sollte, ist bei ihnen kränkelndes Stilwollen, Originalitätssucht, die das Originale ergrübelt anstatt es zu erfinden. In fernen Erdteilen ist es üblich, den Taifunen und Hurricans Namen zu geben; wollte man hier und heute die windschattigen Stürme benennen, die durch unsere Kunstlandschaft zausen, hießen einige ganz sicher und immer noch Beckmann oder Dix, auch Bacon oder Hrdlicka, vielleicht gar schon Vent oder Heisig. Wo aber nun echte mentale Verwandtschaft aufhört und tatsächliche Nachahmung anfängt, an diesem Punkt scheiden sich wieder die Geister, die einen jedenfalls sähen ihn lieber früher, die anderen später gesetzt. Wo der Punkt wirklich liegt, das muß zumindest der Kunstwissenschaftler genauestens erfassen können, damit sein kritisches Wort überhaupt in Betracht kommt. Ein Kunstwerk muß er vom Machwerk trennen können, das ist das Geringste und gleichzeitig Höchste seiner Berufung; sonst ist es nur Beruf.

Im übrigen aber sollten alle Beteiligten nach Möglichkeit doch in der Versuchung bemüht sein, die Sachlage nicht allzu verkrampft und verbissen zu sehen: die Künstler und deren Kritiker dürften sich allesamt viel leicht doch als Brüder fühlen, als eine einzige große Bruderschaft, die letztlich und endlich den gleichen Kampf kämpft, an der gleichen Front steht, den glei chen Feind hat: auf der Seite des Guten gegen das Schlechte. Und daß es nunmal unter Brüdern Große und Kleine, Starke und Schwache gibt, das liegt eben in der Natur der Sache und sollte nicht sonderlich auf regen, es geht so wie so seinen Gang, nur geeint geht es besser.

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