Trak Wendisch
Katalog „Joachim Völkner“, 1987

Langsam schwebt ein Flugzeug über mein Haus. Abendleuchtender Himmel. Wahrscheinlich kommt es aus New York, wo gerade im Dunkel der Nacht, Graffity gespritzt wird. Subway, Wild Style. Im Fernseher läuft das Chaos vom Tage, im Radio Tina Turner again, Might be a Queen. Dazwischen arbeite ich, so gut ich kann.

Plötzlich die Klingel – ein Mensch, den ich nicht kenne, steht vor der Tür, nicht zu sagen, ob aus dem Mittelalter oder aus den 20er Jahren. Brubbelt irgendwas von Problematik, eher murrend als erklärend, weht mit seinem Regenmantel Einsamkeit in den Raum und Größe. Der Mann ist untersetzt und unter Druck wie ein überhitzter Dampfkessel, ich muss zuhören bei soviel Kraft.

Erloschene Augen, die riesig sind im schmalen Gesicht. Die Nasenlöcher übergroß, rundum Schläuche, verkrampft die gelbe Hand und nach unendlichem Atem ein unverständliches Murmeln. Meine erste Begegnung mit dem Tod ohne Hast.

Dazwischen eine kurze Zeit mit einem Freund, der wirklich ein Kosmos war, unabsehbar, tiefdunkel aber klar. Unerbittlich mit sich und so mit allen, außer den Kindern und Schwachen. Einmal nur, dass mich jemandes Moral im Alltag überzeugt hat. Vielleicht war die Zeit zu kurz, aber ich habe in unserem Streiten keinen Widerspruch gefunden, der unlösbar schien.

Er beherrschte den Zaubertrick, die Zeit aufzuheben und die Gedanken und das Fühlen längst vergangener Geister wieder zum Leben zu erwecken im Pfeifenrauch. Konnte mitfühlen, leiden und hassen mit den Menschen der Geschichte, ging im Alltag fast kaputt an der Dummheit der Menschen, die nicht lernen wollten, und die er retten musste.

Das alles hineinpressen in die Bilder – keine Zeit, das hatte er im Gefühl, also mit Macht. Unzählige Bleistifte zerbrochen, Papier durchbohrt, Bilder zerstört, Zeichnungen verbrannt. Kein Ohr abgeschnitten, aber die Seele immer im Stacheldraht, mit dem Kopf gegen die coolen Mauern derer, die verschanzt hinter ihrer genialen Sensibilität, an geborgter Naivität herumretuschieren. Angerannt gegen die, die Ölfarbe für Blut verkaufen. Hat sich zerfetzt in Spießrutenlauf durch die Bürokratie, entsetzt über die aggressive Gleichgültigkeit der Alltäglichen.

Dann wieder unendliche Begeisterung für die Blume am Wegstein, die russische Seele, die Musik, Malerei, Literatur und bereit, voller Pathos für den Trotzdemglauben an die Menschen zu streiten. Da stehe ich in Paris und denke an ihn, der es nie bis Colmar schaffte, zu Grünewald, der nie hierher kam, zum späten van Gogh, welcher uns immer der Größte war, das nicht Erreichbare und der das auch hier wieder ist. Leben, nicht Kunst. Wie soll einer schon beweisen, dass er bald sterben muss, da wird das Unding wieder klar, wer hat das Recht zu entscheiden über Leben, über Bilder, über Glück.

Was mir bleibt außer der Erinnerung, seinem Radio, seiner Luftbüchse und ab und zu aber vor allem seinen Bildern, ist die Klarheit über die Zeit, die ich habe und die er nicht hatte, und die Dinge, die da sind, weil man sie gemacht hat oder nicht, weil man sie verschob. Jede Stunde ist wichtig.

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