Liane Burkhardt, April 2020
Joachim Völkner – Maler in Berlin
Mit diesem Titel reichte ich im Juli 1993 an der Humboldt-Universität zu Berlin meine Magisterarbeit am Kunstgeschichtlichen Institut ein.
Teil I: Biographische Collage
Teil II: Kommentierendes Werkverzeichnis der Gemälde
Betreuer war Professor Dr. sc. Harald Olbrich.
Hierauf basierte die Textanfrage des MdbK Leipzig wie vermutlich auch auf meinem Engagement zum digitalen Erfassen und Bewahren regionaler Künstlernachlässe, praktiziert seit zehn Jahren.1 Angesichts der erbetenen Thematisierung blickte ich nicht auf Künstler und Werk aus heutiger Sicht. Stattdessen konzentriert sich mein Beitrag auf das Entstehen der einst wie heute ungewöhnlichen akademischen Abschlussarbeit – auf das WARUM und auf das WIE. Einbezogen in den wiederum collagierten Text sind die damaligen Arbeitsthesen und ein Exkurs zur sich verändernden Wertbeimessung für regionale Künstlernachlässe.
Das WARUM des Entstehens …
… begründete sich einerseits in der Kunstentwicklung in der DDR seit den 1970er Jahren:
Das zunehmend interdisziplinär provozierende Potenzial der Gegenwartskunst wie auch die auffallende Veränderung in den klassischen Gattungen faszinierten mich. In deren Vermittlung eingebunden war ich seit 1987.
Andererseits begründete sich das WARUM in der Studienstruktur des Faches Kunstwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Das sozialhistorisch orientierte Studium verlangte und förderte eine kontinuierliche Praxiseinbindung.2
Dadurch waren mir am Ende dieses Studiums Basisarbeit und Grundlagenforschung zu aktuellen Kunstprozessen schon aufgefächert begegnet. Logisch, dass die Abschlussarbeit hier zu verankern war.
Durch dieses praktische Eingebundensein bemerkte ich seinerzeit schon, wie wenig getan wurde, um die Vertreter/innen der jüngsten lokalen Kunstgeschichte zu dokumentieren, zu bewahren, zu erschließen und zu vermitteln.
Exkurs:
Inzwischen hat sich die Aufmerksamkeit für den Wert regionaler Künstlernachlässe verändert. Deren zuvor unbeachtete Voraussetzung im Werden der internationalen „Leuchttürme des Kunstbetriebes“ geriet in den Fokus. Die Wertschätzung entstand in den alten Bundesländern: 1993 im Saarland, gefolgt von Hamburg 2003.3 Inzwischen gibt es etliche lokal arbeitende Initiativen, Vereine und Stiftungen. 2017 wurde der Bundesverband Künstlernachlässe e.V. gegründet.4
2008 begegneten meinem Kollegen, Thomas Kumlehn, und mir während der Ausstellungsvorbereitung zu „100 Jahre Kunst ohne König. Privates und öffentliches Sammeln in Potsdam“ gänzlich unerwartet Künstlernachlässe als Teil privater Sammlungen.5
Seit 2011 entwickeln wir die betreute digitale Nachlass- und Werkerfassung im Bundesland Brandenburg. Zusätzlich animieren wir seit 2015 die Künstler/innen zur digitalen Werkdokumentation. Diese unterstützt ihre unmittelbare Werkvermittlung wie später die ihres Künstlernachlasses und entlastet die Erben.
Jüngste Kunstgeschichte und der Maler Joachim Völkner
Joachim Völkner verstarb 1986 und zählte somit 1992/93, rein „fachpragmatisch“ gesehen, zur jüngsten regionalen Kunstgeschichte Ost-Berlins. Seinen Weg nun auch aus heutiger Perspektive zu betrachten, wäre äußerst sinnvoll für die Diskussion zur vielfältigen Spezifik der Kunstentwicklung in den vier DDR-Jahrzehnten.
Aus meinen Magisterarbeitsthesen (1993):
3)
„Die genauere Betrachtung der Person und des Werkes Völkners rückt einen Zeitraum ins Blickfeld, in welchem die kulturpolitische „Weite und Vielfalt aller Möglichkeiten“ (Erich Honecker, 1971) wie der „große Spielraum des schöpferischen Suchens“ (Kurt Hager, 1972) der siebziger Jahre in eine akute Verhärtung der Situation zu Beginn der achtziger Jahre umschlägt.
Es gab nur drei Varianten des Reagierens: Rückzug, opportunistisches Paktieren oder offenes Opponieren. Letzteres wird zumeist und nicht selten verklärend mit der damals jüngsten Künstlergeneration gleichgesetzt. Völkner zählte zwar zu jener, doch differierte er in Ziel und Mitteln erheblich von seinen, vor allem neoexpressiv wie intermedial arbeitenden Generationskollegen. Ohne Frage rüttelte das zunehmend lautere Diskutieren über unkonventionelle Kunstformen an verkrusteten Dogmen, stritt doch aber in erster Linie um Zugeständnisse im innerkünstlerischen Bereich wie für die unmittelbare Lebenssphäre als Künstler.
4)
Joachim Völkners Absicht trug dagegen ganzheitlichen Charakter. Für ihn war Kunst Mittel zur Reformierung der real-sozialistischen Gegenwart im Sinne seiner humanistisch-utopisch-sozialistischen Ideale. Es ging ihm um die Benennung erlebter Mißstände und ihre Ursachen. Bloßes Herausschreien genügte ihm nicht. Er wollte mit seinen Bildern zum Diskurs anregen und sah dafür einzig in einer realistischen, sozial-engagierten Kunst die geeignetste Ausdrucksform.“6
Diese Thesen entstanden seinerzeit, weil das Hörensagen um den Maler Völkner mir in Künstler- und Vermittlerkreisen der 1980er Jahre begegnete. Erinnern konnte ich auch einzelne Bilder aus Guppenausstellungen dieser Zeit in Berlin und Dresden, speziell natürlich aus seiner ersten Personalausstellung in der Berliner „Galerie Weißer Elefant“, Ende 1987.7
Im hierzu erschienenen Katalog wurden erstmals Texte aus dem schriftlichen Nachlass des Künstlers veröffentlicht.8Zuvor war er mir als Autor in der Zeitschrift „Bildende Kunst“ und im „Sonntag“, einer Wochenzeitung, aufgefallen.9
Aus meinen Magisterarbeitsthesen (1993).:
1)
„Joachim Völkner (1949–1986) war ein Begriff in der Berliner Kunstszene. Wer ihn nicht kannte, hatte zumindest von ihm gehört; von seinen streitbaren Auftritten im Verband Bildender Künstler etwa, seinen problembeladenen Bildern, seiner pro-sozialistischen, gar kommunistischen Einstellung.
Allenthalben mokierte sich die lokale Malerschaft über die Inhaltsschwere der Völknerschen Arbeiten, über die dilettantische Malweise, die misslungenen Kompositionen etc. Man begnügte sich damit, seine [Bilder] als fixe Idee eines Möchtegern-Malers abzutun. Die Begründung lag auf der Hand:
2)
Joachim Völkner war Autodidakt. …“10
Das WIE des Entstehens …
… war noch nicht mit PC und Internet verbunden. Zwar gab es meine Praxiserfahrungen, doch mit einem Künstlernachlass umzugehen, war mir neu. Werkverzeichnisse hatte ich zwar schon benutzt, aber nicht erstellt.
Die damals zugängliche Biografie Joachim Völkners ließ sich erheblich erweitern und differenzieren durch den schriftlichen Nachlass (insbesondere durch die erhaltenen Tagebücher 1975–1982) sowie durch Gespräche mit der Erbin, Sabine Herrmann, mit Kollegen, Freunden und einem Familienmitglied des Malers.11
Im parallel entstandenen Werkverzeichnis war dadurch das nachträgliche Datieren undatierter Gemälde möglich und in den Kommentaren deren Verknüpfung mit der Lebens- und Werkgeschichte. Das Einbinden der Völknerschen Arbeiten in die Zeit- und Kunstgeschichte erfolgte auch in dieser gegenseitigen Ergänzung. (Abb.)
Aus meinen Magisterarbeitsthesen (1993):
5)
„Zur Orientierung dienten Joachim Völkner zunächst Vertreter der jüngeren Kunstgeschichte wie Vincent van Gogh, Oskar Kokoschka oder Max Beckmann ebenso Käthe Kollwitz, Otto Pankok, Ernst Barlach und Otto Nagel. Ende der siebziger Jahre wurde diese Ausrichtung durch ein zunehmendes Interesse an der Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit ergänzt, was nicht nur in seinen szenischen Arbeiten, sondern auch in den kontinuierlich entstandenen Porträts zu formalstilistischen Veränderungen führte. Seither dienten ihm vornehmlich biblische Stoffe zur Darstellung der bedrängenden Gegenwart.“12
Einen ersten Überblick bot mir die Sichtung des Gesamtbestandes zusammen mit Sabine Herrmann, die während meiner gesamten Arbeit für jede Anfrage offen war. Auf das erste Sichten folgten notwendigerweise das Erfassen der Metadaten und die Fotoaufnahmen.13 Eigentümer und Standorte der Werke, die sich nicht im Nachlass befanden, wurden ermittelt und die Angaben und Abbildungsvorlagen vor Ort erstellt.
So wuchs das kommentierende Werkverzeichnis der Gemälde nach und nach heran und bestand aus 225 Notizblättern (A 5) zu 225 Werken.
Der nächste Schritt galt der Verknüpfung der Einzelwerke mit den Ausstellungen und Publikationen, in denen sie bisher gezeigt und besprochen worden waren. Die erwähnten Verflechtungen für die Werkkommentare erfolgten zeitgleich. Ein Teil des im Nachlass vorhandenen Zeichnungskonvoluts ging mit ein.14 (Abb.)
Mit dem Herstellen der Abgabeexemplare endete 1993 meine Arbeit zu Künstlernachlässen. Zunächst.
Das vorgelegte Ergebnis für einen akademischen Abschluss bot und bietet die Basis, das künstlerische Werk von Joachim Völkner erschließen zu können. Sie war und ist darüber hinaus ein „Werkzeug“ für die Nachlasserbin, Sabine Herrmann, die diesen seither hoch aktiv vermittelt.15
Der beim Werkverzeichnis von Joachim Völkner verfolgte Erfassungs- und Verknüpfungsanspruch erwies sich als allgemein fachrelevantes Vorgehen und bestimmt unsere aktuelle Arbeit – nun in digitaler Qualität.16
Anmerkungen
1) Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg e.V. https://private-kuenstlernachlaesse-brandenburg.de/
2) Das hieß für mich, die Vorbereitung von Grafikauktionen und die Redaktion/Realisierung einer thematischen Grafikmappe kennenzulernen. Katalogtexte und Eröffnungsreden sowie Beiträge für die „tageszeitung“ und „neue bildende Kunst“ entstanden. Die erste Ausstellung, den ersten Katalog ermöglichte 1989 die Leipziger Privatgalerie EIGEN+ART zu Fine Kwiatkowski. Einbindungen gab es in die Berliner Galerie Unter den Linden (Staatlicher Kunsthandel der DDR) und in die Berliner Galerie M (Stadtbezirksgalerie).
3) – Institut für aktuelle Kunst im Saarland an der Hochschule der Bildenden Künste Saar mit Forschungszentrum für Künstlernachlässe https://www.saarland.de/4336.htm
– Forum für Künstlernachlässe Hamburg http://www.kuenstlernachlaesse.de/
4) Die zweitägige Gründungsveranstaltung war im Saarland, in Saarlouis, wo das Interesse für regionale Künstlernachlässe in Deutschland begann.
– Bundesverband Künstlernachlässe e.V. https://www.bundesverband-kuenstlernachlaesse.de/
Vgl. auch: BBK-Bundesverband (Hg.), Anlass: Nachlass. Kompendium zum Umgang mit Künstlernachlässen, Oberhausen 2015; SIK-ISEA (Hg.), Vom Umgang mit Künstlernachlässen. Ein Ratgeber, Zürich/Lausanne 2017; Zeidler, Frank Michael, Das verlorene Bild: Eine Aufforderung zur Reflexion über Künstlernachlässe, Freiburg i. Br. 2016
5) Gezeigt wurde die Ausstellung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, in Potsdam (15.05. bis 02.08.2009). Der gleichnamige Katalog erschien im Lukas Verlag, Berlin 2009.
6) Natürlich ist der sprachliche Duktus in den Thesen ein anderer. Auch die damals entstandenen „Wortungetüme“ waren der Komprimierungsabsicht geschuldet. In Völkners Zeit galt zurecht die Formulierung „humanistisch-utopisch-sozialistische[] Ideale“. Heute, wiederum zurecht, wäre zu formulieren: utopisch-sozialistisch-humanistische Ideale.
Burkhardt, Liane, Thesen zur Magisterarbeit, in: dies., Joachim Völkner – Maler in Berlin, Magisterarbeit, eingereicht an der Humboldt-Universität zu Berlin am Kunstgeschichtlichen Institut, Juli 1993, Teil I, S. 64-67, hier S. 65 f.
Dies., Wie lange hält die Sprache …? Erinnerungen an Joachim Völkner (1949–1986), in: neue bildende kunst, 2/1995, S. 52–55
7) Zwar gab es seit Juni 1987 diese speziell für junge Künstler neu eingerichtete Galerie, worum Joachim Völkner in der „Arbeitsgruppe Junge Kunst“ des Verbandes Bildender Künstler u.a. gekämpft hatte. Dass diese erste Einzelausstellung dort tatsächlich gezeigt wurde, war der Hartnäckigkeit von Sabine Herrmann, Matthias Flügge und Trak Wendisch zu verdanken.
8) Edition Galerie Weißer Elefant (Hg.), Joachim Völkner. Malerei Zeichnungen 1949–1986, Berlin 1987
9) zu den Details vgl. die Bibliografie in vorliegender Publikation
10) Vgl. Anm. 6, Magisterarbeit, S. 64
11) Geführt wurden die Gespräche im Frühjahr 1993 mit Matthias Flügge, Sabine Herrmann, Mario Monden, Marina Stolzenburg, Christoph Tannert und Trak Wendisch. Die schon getroffene Verabredung mit Hans Vent kam nicht zustande. Auch der Kontaktversuch zu dem häufig porträtierten Daniel Wander gelang nicht. Die transkribierten Audioaufnahmen (Tonträgen waren Kassetten) fungierten als Quellen.
12) Vgl. Anm. 6, Magisterarbeit, S. 66
13) Die Fotoaufnahmen unterstützte Axel Nocker, der heute als Szenenbildner arbeitet.
14) Zur Arbeitsmethode vgl. Magisterarbeitsthese 7.
These 6 bezog sich auf den Autor Joachim Völkner. Die erhaltenen Texte (Lyrik, Dramatik, Erzählprosa) sind nicht analysiert worden. Partiell einbezogen wurden die Tagebücher und die kunsttheoretischen, kunstkritischen Aufsätze.
Vgl. Anm. 6, Magisterarbeit, S. 66 f.
15) Exemplare der Arbeit befinden sich im Jacob-und-Wilhelm–Grimm–Zentrum (Universitätsbibliothek der HUB), bei Sabine Herrmann, bei der Familie Völkner und bei mir.
Das MdbK Leipzig erstellte inzwischen eine PDF, wofür ich Friederike Berger danke.
16) Vg. Anm. 1: Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg e.V. https://private-kuenstlernachlaesse-brandenburg.de/