Joachim Völkner
Die Kunst der Deutschen Demokratischen Republik, um 1979/80
Die Kunst der Deutschen Demokratischen Republik ist nun mal eine deutsche Kunst, und nach nationalen Wesenszügen gefragt, gibts an entsprechenden Folgen nichts herumzuquengeln. Sowieso ist unsere Kunst national eigenständiger, als manche es meinen und mögen. Sie mußes sein, anders ist es nicht denkbar. Trotz Internationalismus und einiger brüderlicher Beziehungen wird sie in ihren stärksten Momenten niemals bruderländisch, europäisch oder universell sein, allenfalls sehr sozialistisch, doch immer deutsch. Wobei es hier nicht so sehr um die künstlerische Themenwahl geht, Geist und Inhalt unserer Kunst ist sehr wohl auch kosmopolitisch, mit „deutsch“ ist gemeint die Art und Weise, wie die Besten der deutschen Kunst ein Thema angreifen, es geistig verarbeiten und es umsetzen in ein für sie typisches Maß an Ausdruck. Dieses Maß aller Dinge ist woanders anders, Schönheit und Harmonie spielen dort größere Rollen. Wie nun wäre Deutsches zu beschreiben? Eine Antwort, sowie das rechte Verständnis der Komplexität dieses Themas setzt ein gewisses Maß an Instinkt voraus, ohne das sich solche Sätze lesen wie nationalistische Selbstbeweihräucherung oder böhmische Dorf musik. Es ist halsbrecherisch, die von Quatschköpfen bewirkte Abgedroschenheit bezüglichen Vokabulars macht das Schreiben hier über zu einem Slalomgang. Zögernd umgeht man Worte wie kämpferisch, kritisch, tiefgründig, erregend, Attribute, die so verkehrt nicht sind; doch um zu beschreiben, was Grünewald, Beethoven, Kleist, Dix machten, sind diese Worte und Worte überhaupt gänzlich ungeeignet, geradezu ein Witz. In ihren besten und überzeugendsten Ergebnissen wird die Kunst unseres Landes das enthalten, was unser Fleckchen Erdein tausend Jahren auf diesem Gebiet in seinen künstlerischen Sternstunden hervorgebracht hat. Dabei leuchtetedieserStern immer dann besonders grell, wenn unser Fleck Erde ein Schwarzes Loch zu werden schien, sich politisch verfinsterte. Die deutsche Kunst wuchs an den Schranken, die die Landesherren zu ihrer Abschnürung zu erfinden sehr talentiert waren. Wenn ich jetzt behaupte, ein nationaler Wesenszug unserer Kunst sei nun ebenfalls dieses „Aufgrellen“, so spüre ich beinahe schon beim Schreiben einige messerscharfe Blicke und die donnernde Frage, wo hier gefälligst ein Schwarzes Loch sei. Brav werde ich antworten, solches sei hier nicht, doch gänzlich fleckenlos fände ich unser Licht nun auch noch nicht.
Schönes Einvernehmen mit den Oberen und Unteren seinerzeit gabs wohl in deutschen Landen für den gesellschaftskritischen Künstler nie, nur den leisetretenden Kollegen ging es wohl, ihnen galt die Kunstliebe der Könige. Erst nachfolgende fortgeschrittenere Generationen begannen, die fürstlich Gehaßten zu lieben und die Geliebten zu hassen. Denkmäler wurden umgeschmolzen.
Gern wird von der Kunst als Seismograph der Gesellschaft gesprochen, wieder so ein abgegriffenes, doch deshalb nicht unrichtiges Wort. Jede unserer Ausstellungen kann so als Gradmesser zu sehen sein, inwieweit unser Land von inneren Erschütterungen, leichten Beben heimgesucht ist. Würde unsere Kunst so gesehen, ihre Empfindsamkeit geachtet, ihr Fingerzeig festgestellt, so wäre ihre Funktion endlich gesichert: sie könnte behilflich sein im Prozeß gesellschaftlichen Fortschritts. Doch gibt es Zeitgenossen, die der Kunst diese unbequeme Wirkung absprechen, für sie sind Erdbeben seit 30 Jahren abgeschafft, und seismographische Ausschläge auf unserem Gebiet führen sie zurück auf den „mangelhaften“ Standpunkt des Bebenmessers: nicht die Welt habe gewackelt, lediglich der Herr Künstler.. .Entsprechende künstlerische Reaktionen heißen subjektivistisch eklektisch.
Das überwiegende Malen von Stilleben, Interieurs und nicht eben glücksstrahlenden Menschen, der Rückzug also vom propagandistischen Thema, vom Oberflächenoptimismus, ist von einem gewissen Grade an eine Art der Verinnerlichung, die als Protest gewertet werden muß. Verinnerlichung gesehen als Verweigerung; Ratlosigkeit, künstlerisch formuliertes Geseufz und Gesülz soll damit nicht aufgewertet sein. Je nach Mentalität und Schärfeder Sinne erlangt der engagierte Künstler ein mehr oder weniger fundiertes Weltbild, gegebenenfalls aber kommt es zur Verklärung, zur Resignation, dementsprechend dann zur Anpassung an Gängiges oder zur Ausflucht ins Ungegenständliche, womit dann die Engagiertheit aufgehoben ist, da die Stellungnahme nicht mehr kenntlich ist und als Nichtstellungnahme gewertet werden muß.
Jeder malt doch nur das, was er im Kopf hat, was er sieht in seiner Welt. Und es ist doch über ihn im Bild alles zu erfahren, nichts Inneres läßt sich vertuschen, Schwäche oder Kraft wird offenbar. Man nehme jedes Bild getrost wie eine Röntgenaufnahme von Kopf und Herz seines Schöpfers. Doch Diagnosen wollen gekonnt sein. Eine weitere, in unserem Boden tiefverwurzelte, doch immer noch sehr ertragreiche Möglichkeit ist der Gebrauch der Metapher, die künstlerische Lösung eines kritischen Themas über den Umweg der Mehrdeutigkeit. Scheint der direkte Weg, die Eindeutigkeit „ungünstig“, so transponierte gerade der deutsche Künstler seine Ideen gern dorthin, wo er von den Scharf blickern seiner Zeit nicht greif bar war. Sein sozialkritisches Stück spielte dann meist unter Göttern, David kämpfte so gegen Goliath, während Ikarus das Weitesuchte.
Manches, was in der Kunstgeschichte als sehr deutsch gilt, hat in unserem Land Anpassungsschwierigkeiten. So haben es einige nicht leicht, ihre Beckmannschen Visionen abzuladen, strangulierte Körper und eine vergitterte Tektonik wollen ja so gar nicht in die Dialektik unseres real existierenden Alltags passen. So wird dann alles clever verpflanzt, meist in die Vergangenheit, oder dorthin, wo noch irgendein Faschismus verblüht oder der Pfeffer wächst. Soweit führts, wenn der Form wille das Thema bestimmt. Es hat zum Glück etwas nachgelassen, daß alle weinenden Frauen „Chilenische Mütter“ heißen mußten. Solidarität ist doch etwas mehr als ein Bildtitel.
Auch inhaltlich will einiges sich nicht einfügen in offizielle Maximen, seelische Tiefenbohrungen sind nichteingeplant. Uns gehts doch gut, wir haben zu essen, trotzdem fällt Leidendes, Stürzendes, Ringendes zu malen, zu formen uns rätselhaft leicht. Leichter ais unseren Nachbarn, wenn da mal auf polnisch, französisch, italienisch „gerungen“ wird, dann ist das manchmal sehr schön, doch selten menschlich ergreifend. Ja ja, natürlich gibts Ausnahmen. Es gibt Goya, es gibt Guttuso, und es gibt auch hier manch Zuckerguß, doch spricht das nicht gegen die geahnte Regel. Etwas ist schon dran, an uns, in uns, etwas, das, sollte es beschrieben werden, wiederum nur äußerst simpel gesagt werden kann, eine Anlage in uns wäre zu benennen, eine besondere Antenne, ein Empfänger für Notsignale, für seelische SOS, und vielleicht überhaupt nur ein Verstärker dieser Zeichen. Gute Erb-Anlagen jedenfalls. Wenn sie doch nur jeder von uns hätte.
Einsprüche hierzu von Blumenmalern oder Popartisten wären mir einleuchtend.
Schließlich, gefragt nach sozialistischen Aspekten, danach, worin die Zutat der DDR zur deutschen Kunst besteht, würde ich kurz sagen: vielleicht in neueren Zielen, in neueren Inhalten, in neueren Problemen und vielleicht im dialektischen Herangehen an letztere.
Wobei die Lehre von der Einheit und dem Kampf der Gegensätze nicht die Gegensätze entschuldigend interpretiert werden sollte, diesem Prozeß würde sonst die Produktivität genommen, es käme zu keiner Negation. Ein Widerspruch, ein Mißstand wird nicht annehmbarer, wenn man ihn begründen kann, geschweige, daß er so überwunden wird.
Die erklärte Immanenz einer Problematik darf auch für den marxistischen Künstler kein Grund sein, ein Problem deshalb für nicht kritikwürdig zu halten. Lehrsatzbedingte Einäugigkeit führt zur künstlerischen Disqualifikation.
Der richtige Gebrauch seiner Augen, seiner Sinne, seines Verstandes und seines Herzens ist das, was über den Künstler entscheidet.
Das ist wohl nichts Neues, dafür aber etwas Wahres.