Christoph Tannert
Katalog „Joachim Völkner“, September 1987

Ein Gefühl der Nähe schien nur erahnbar… Unsere wenigen Begegnungen zerstrudelten im Wortschwall kontrovers geführter Gespräche. Ich besuchte ihn in seiner Wohnung in der Bötzowstraße. Den Small talk auf Ausstellungseröffnungen, weinselig geführt mit dem Rücken zum Bild, haßte er, ebenso das zwanghafte „Wortgeklimper“ jener Kritiker, die ständig ihre Nichtbetroffenheit kaschieren müssen, auch die Verlautbarungen mächtigen Missstands, in die Auditorien gehetzt, um Schluss zu machen mit unserem Fragen. Joachim Völkner glaubte an die Oberzeugungskraft des besseren Arguments, selbst dann noch als bereits das Scheitern eines Projektes diskutiert wurde.

Als ich schon in Abreaktionsspiele vertieft war, sah ich ihn immer noch auf seinem Außenposten.

Er wusste, daß ich mich wunderte über seinen Aktivismus, und er rieb sich an meinen trockenen Kalkulationen und den Hinweisen auf das momentan Machbare. Wir waren unterschiedlicher Meinung in Bezug auf die Lebbarkeit von Alternativen. Einigkeit bestand darüber, dass es nötig sei, Anstöße für kreative Gemeinschaftlichkeit zu geben. Schon Anfang der achtziger Jahre gehörte er zu den eifrigsten Verfechtern einer selbstverwalteten Galerie Junger Künstler in Berlin. Zielgerichtet ging er in die Ausschüsse. Er ließ sich nicht beirren in der Hoffnung, dass auch bürokratische Einheiten reformierbar wären. So verbitterte es ihn, daß die Idee einer „unabhängigen Kunstzeitschrift“ fernab seines Ideals der Verbindung von Angst und Sicherheit ihre Verwirklichung fand, finden musste.

In dem Maße wie ihm die Brüche in der Realität zu schaffen machten, wurden seine Bilder spannungsvoller. Selbstdarstellungen wandelten sich zu Selbstverteidigungen. Je mehr Völkner sich durch persönlichen Misserfolg in Auseinandersetzungen enttäuscht sah, die außerhalb seiner Bilder stattfanden, umso erregter stritt er – in öffentlicher Rede, in Statements, in Briefen. Er tat dies nie von der hohen Warte des aus dem Atelier heraus wegweisenden Künstlers aus. Das Verstricktsein ins Getümmel des Tages war ihm aber auch oft lästig, und er wünschte sich insgeheim wohl, daß sein Einsatz für andere ihn doch auch einmal als ersten der anderen beträfe.

Meine Begeisterung für das gelebte Aufbrechen von selbstzufriedenen Seinsweisen teilte er. Den polternden Flüchen und kreischenden Fanfarenklängen, die sächsischer Ungehorsam der akademischen Zwangsgemeinschaft der Ignoranz um die Ohren knallte, stand Völkner skeptisch gegenüber, weil ihm nichts an Eskalationen, alles am Offenhalten von Möglichkeiten fruchtbaren Streitgesprächs lag. Außerdem standen sein selbstquälerisches Ringen um Form und die z. T. erzählerisch angestrengten Botschaftsübermittlungen (für die meisten Neoexpressionisten ein Gestaltungstabu!) der hektischen Umstülpung der „Bildtiefen zu Knallflächen“ (H. Szeemann) entgegen. Für die inszinierte Schrecksekunde hat sich Völkner nie erwärmen können. Ich glaube eher, daß er mit seiner Darstellungsmethode versuchte, einen Warnschmerz im Gehirn des Betrachters registrieren zu lassen.

Als ich ihn das letzte Mal sah, zitierte er ausführlich Max Beckmann, insbesondere jenen Aufsatz, der die „Fieberthermometerfunktion“ von Kunst betont, (vgl. Max Beckmann, Der Künstler im Staat, 1927)

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